Transformation des gesamten Selbst
Es scheint, dass sich die meisten von uns verändern wollen, dass wir entspannter, gesünder und lebendiger sein wollen, aber hier liegt das
Grundproblem menschlicher Transformation. Obwohl wir sagen, wir wollen
eine andere Art von Leben -und mögen dabei sogar vieles tun, um es zu
verbessern- gibt es doch einen Teil von uns, der sich stur jeder
tiefgehenden Richtungsänderung in unserem Leben widersetzt. Dieser Teil
in uns, der sich weigert, loszulassen, ist unser Panzer. Wir nennen es
Panzer, weil es der Aspekt von uns ist, der Angst vor möglichem Schmerz
und Verwirrung hat, unsere Körper verhärtet und unempfindlich macht und
unsere Gefühle und Gedanken vorsichtig unter Kontrolle hält.
Unser Panzer besteht aus all den gut entwickelten Haltungen, mit denen wir das Leben ertragen -steifer Nacken, eingezogener Bauch, Fett,
Unförmigkeit. Er besteht aus all den gut behüteten Gefühlen - verdeckte
Traurigkeit, zurückgehaltener Zorn, lähmende Angst. Er besteht aus den
oft unausgesprochenen, aber kontrollierenden Glaubenssystemen - “wenn
ich es versuche, werde ich erfolgreich sein; wenn ich nett bin zu dir,
wirst du nett zu mir sein.” Denke über dein eigenes Verhalten nach.
Bemerke die kleinen Tricks, mit denen du durch den Tag kommst; wie du
dich morgens in Schwung bringst; wie du dich oben hältst, um nicht
negativen Gedanken nachzugeben; wie du deine Schokoladenseite zeigst,
wenn du Leute beeindrucken willst.
Ein grosser Teil dieses Verhaltens wird zu unserer zweiten Natur, unbewusst angeregt, und es funktioniert gut für uns, weil es uns vor
Schmerz und Verwirrung schützt. Jedoch schränken uns diese
Verhaltensweisen auch ein und bilden früher oder später eine rigide
Struktur, die dann unsere Spontaneität verhindert. Eine der
Hauptschwierigkeiten in der Veränderung unserer Selbst ist, dass dieser
Panzer weitgehend unbewusst ist aber sogar dann unter unserer Kontrolle
bleibt, wenn wir versuchen, Teile von uns zu verändern. Jedesmal, wenn
wir versuchen, unser Leben zu verändern, gebrauchen wir dafür
tatsächlich unsere bereits entwickelte (und unbewusste) Haltung
(posture) und Einstellung, mit denen wir unsere Probleme angehen.
Z.B.: wenn du deinen unteren Rücken überdehnst (Bananenstruktur) und damit ernsthafte Rückenschmerzen verursachst, versuchst du vielleicht,
durch Yogaübungen u.ä. Erleichterung zu finden. Aber du wirst dich
wahrscheinlich auf Übungen konzentrieren, die einfach auszuführen sind
und sich im Moment gut anfühlen, z.B. solche, in denen du deinen Rücken
in der Fisch oder Kobraposition noch mehr überdehnst. Auf die Länge
werden solche Haltungen einfach dein körperlich-strukturelles
Ungleichgewicht vergrössern und mehr Schmerzen verursachen. Hier treibt
dich eine unbewusste Einstellung an, Erleichterung zu finden, aber in
einer Art, die die alte Körperhaltung verstärkt.undefined
Sogar, wenn du sehr diszipliniert bist und mit Yogahaltungen arbeitest, die deinen Rücken abflachen, wirst du durch die Haltung, die
in deinem Körper gespeichert ist, einfach die Spannung verlagern und
einen anderen Teil deines Körpers ins Ungleichgewicht bringen. In dem du
deinen Rücken abflachst, wirst du deine Schultern runden und die
Brustmuskulatur zu stark kontrahieren.
Oder nehmen wir ein anderes Beispiel. Wenn du eine eher harte Körperoberfläche hast, hast du wahrscheinlich gerne eine tiefe,
entspannende Massage. Du magst durch häufige und sorgfältige
Manipulation dieser harten Schale anfangen, weicher zu werden -d.h.
äusserlich weicher. Viele dieser äusseren Spannungen würden nur zu
tieferen Muskel- und Gewebeschichten verlagert werden. Du hast immer
noch einen widerstandsfähigen Panzer, nur ist er jetzt nach innen
verlagert.
Die Spannungen des Körpers sind voneinander nicht zu trennen, und sie sind Teil unserer allgemeinen Haltung und unseres Verhaltens. Arbeit an
irgendeinem Teil des Körpers, der nicht die gesamte Struktur entspannt
und damit die gewohnte Haltung berücksichtigt, ist keine Transformation,
sondern nur ein einfaches Rearrangement unserer Probleme.
Aber wie können wir unsere grundlegenden Gewohnheiten und die zu Grunde liegende Struktur (Charakter- und Körperstruktur) beeinflussen?
Wir mögen versucht sein, unsere grundlegenden emotionalen und mentalen
Einstellungen als einen Schlüssel zur Veränderung zu betrachten, aber
selbst, wenn wir weiter gehen und mit unsere Gefühle und Gedanken mit
einbeziehen, die mit unserem physischen Schmerz und Ungleichgewicht
verbunden sind, begegnen wir wieder einer subtilen Ausflucht. Wann immer
ich sage, dass ich bereit bin, jeden Teil meines Körpers zu erforschen
und meine Gedanken und Gefühle ebenfalls zu berücksichtigen, werde ich
tatsächlich ebenso einen unbewussten Teil meines Panzers dafür
einsetzen. Hier kann eine versteckte Botschaft enthalten sein:” Ich
versuche es, aber nichts kann mir helfen”. Eine Botschaft, die meinen
Körper und Verstand sogar dann manipuliert, wenn ich überzeugt bin,
beides loszulassen.
In unserem “befreiten” Verhalten sind solch fundamental unbewusste emotionale und mentale Einstellungen, die sich gleichzeitig mit unserer
physischen Haltung entwickelt haben und die unsere wohlmeinenden
Anstrengungen, unser Leben zu verbessern, steuern. An diesem Punkt magst
du fragen:”Welcher Ansatz, welche Art von Prozess kann gegen solch
tiefverwurzelte, unbewusste Abwehr helfen?”
In meiner Arbeit mit mir selbst und anderen habe ich herausgefunden, dass wir einen Weg finden müssen, das ganze Selbst zu erreichen, die
Einheit jedes Teils unseres Körpers, das Äussere zusammen mit dem
Inneren, die Einheit unseres Körpers mit unserem Verstand. Wenn wir alte
rigide Körperhaltungen verändern, müssen wir gleichzeitig auch die
begleitenden rigiden Gefühle und Gedankenprozesse verändern; oder wenn
wir blockierte Gefühle und Ideen befreien, müssen wir gleichzeitig
Muskeln und Gewebe für neue, flexiblere Bewegungen befreien.undefined
Ich möchte Euch etwas über meine Methode mitteilen, die ich in über 15 Jahren Arbeit entwickelt habe. Es ist eine Art von “Körperarbeit” -
eine Methode, die direkt mit den Muskeln, den Stellungen, den Haltungen
und den Körperbewegungen arbeitet- aber Körperarbeit, die nicht nur
Arbeit an diesen physischen Aspekten des Selbst ist, sondern auch
direkte Arbeit mit der emotionalen und mentalen Haltung, die durch diese
physischen Aktivitäten ausgedrückt wird. Ich nenne diese Methode oder
diesen Prozess Postural Integration.
Falls dir Postural Integration als eine Arbeitsweise zur Transformation der gesamten Person unbekannt ist, wirst du überrascht
sein, wenn du eine Session besuchst. Du wirst einen Therapeuten finden,
der sich über einen Menschen beugt, mit Händen, Fingern oder Ellbogen an
seinem Körper arbeitet, während die Person seufzt, klagt oder sogar
schreit und schlägt. Du wirst den Therapeuten sehr sanft arbeiten sehen:
den Menschen schaukelnd, wiegend und streichelnd, ihn zu tiefem Atmen
ermunternd oder vielleicht in einem Dialog, um Gefühle und Ideen zu
klären. Was würdest du bei all dem denken? Es kann aussehen wie ein
Kult, ein Ritual oder sogar Perversion. Aber wenn wir erkennen, dass wir
Veränderungen sowohl auf der Körperebene als auch auf der
Verstandesebene verweigern, können wir die Notwendigkeit für
verschiedene Strategien verstehen, um beides zu transformieren. Postural
Integration ist eine Körperarbeit, in der der Therapeut Finger, Fäuste
und Ellbogen benutzt, um zu greifen, zu drehen, Gewebeschichten zu
verschieben und das Muskelsystem zu reorganisieren. Dieser Prozess ist
keine Körperarbeit in dem Sinne, dass der Körper getrennt von Gefühlen
und Verstand behandelt wird, sondern es ist Körperarbeit nur insoweit,
als der Körper eine greifbares, momentan verfügbares Gefäss für
Körper-Psyche darstellt.
Die aussergewöhnliche Kraft von Postural Integration liegt in der Bereitschaft von Klient und Therapeut, mit dem Klienten auf mehreren
Ebenen gleichzeitig zu arbeiten. Wenn ich dem Körper mit meinen Händen
begegne, die tiefen Muskelverspannungen löse, schaue ich in die Augen
meines Klienten. Und wenn ich Druck einsetze, bitte ich die Person,
durch Ton, Bewegung und Worte mitzuteilen, was passiert, was er
empfindet, fühlt und denkt. Indem er diesen Kontakt, dieses offene
Mitteilen aufrecht erhält, kann der Therapeut flexibel genug sein, die
Betonung der Arbeit so zu verändern, dass er den sich verändernden
Bedürfnissen der ganzen Person begegnet. Therapeut und Klient arbeiten
nun zusammen, mal mit dem Gewebe, mal mit Worten, mal mit Tönen - sie
erkennen die ganze Zeit die physische, emotionale und kognitive Einheit
dieses Prozesses. Aber natürlich, wenn wir unsere Abwehr betrachten, so
wird eine fundamentale Veränderung des Selbst mehr beinhalten, als
dieses momentane Miteinander, egal wie vereint sie emotional und
physisch sind.
Tatsächlich, Postural Integration ist kein vorübergehendes Loslassen. Es ist ein System, das mit dem ganzen Selbst arbeitet, ein Prozess, in
dem wir von dem Therapeuten Schritt für Schritt geführt werden, um
unsere Ganzheit, unsere Gesundheit, Flexibilität und Spontaneität wieder
zu entdecken. Die Therapeutenundefined
und Trainer von Postural Integration haben in mehr als 12 Jahren Erfahrung, Experimentieren, Beobachtung und Austausch entdeckt, dass es
in dem Prozess einer Selbstvereinigung wichtig ist, dass 1. wir mit den
verschiedenen Schichten von Körper und Geist (Body-mind) arbeiten, mit
den äusseren Strukturen und Emotionen als auch mit der tiefen inneren
Muskulatur und den dazugehörigen Gefühlen; 2. wir die Ebene unserer
verfügbaren Energie ausgleichen und regulieren, sodass wir nicht in
einem Muster von Schwäche und Unterernährung bleiben oder explosiv und
übererregbar sind; 3. wir verstehen und uns die Veränderungen, die wir
erfahren, zu eigen machen , indem wir realisieren, dass wir unser altes
Selbst akzeptieren und trotzdem für neue Erfahrungen frei sein können.
1.2. Aussen und innen loslassen
Unsere Entwicklung ist eine Geschichte erlernter Antworten, von denen wir viele in rigide (starre) Gewohnheiten umwandeln, um uns gegen
Schmerz zu schützen, die uns aber auch daran hindern, ganzheitlich und
spontan zu sein. Die früheste dieser Gewohnheiten formen den Kern
unserer Abwehr. Während der Traumen, die wir ganz am Anfang unseres
Seins erfahren -im Moment der Empfängnis, während wir uns in den
Eileitern voran bewegen, wenn wir uns im Uterus einpflanzen und
einrichten- etablieren wir bereits Muster, mit denen wir uns selber
schützen. Wir verstärken diesen sich entwickelnden Kern, wenn wir
gezwungen sind, mit dem Geburtsschock umzugehen, und dann kämpfen wir
uns durch die orale, anale und genitale Phase unserer Kindheit. Im Alter
von 3 oder 4 Jahren haben wir unsere charakteristischen Haltungen
bereits voll entwickelt, unsere Art, Schmerz und ungewollte
Veränderungen zu vermeiden.
Der Rest unseres Lebens ist gewöhnlich eine Verstärkung dieses Kerns, Jahre ähnlich angesammelter Schutzmechanismen. Aber wir machen unseren
Panzer sogar komplizierter, indem wir mehr Schutz aufbauen, eine Kapsel,
die um den Kern herum gebildet wird. Obwohl der Kern der am meisten
resistente Teil von uns ist, ist er auch am verletzlichsten gegen
intensiven Schmerz. Die Schale erlaubt uns, einige Risiken einzugehen.
Wenn wir dort verletzt werden, ist es oberflächlich, und auf einer
tieferen Ebene sind wir immer noch geschützt.
Wir erhalten diese grundlegende Teilung zwischen Kern und Schale in vielen Formen aufrecht. Auf der physischen Ebene mögen wir die äusseren
Körpermuskeln entwickeln, die anatomisch die extrinsischen Muskeln
genannt werden. Diese sind die grossen, starken Muskeln des Antriebs,
die die Bewegung beim Laufen, Springen und Werfen bewältigen. Wir mögen
diese äusseren Muskeln als Methode entwickeln, unsere Probleme durch
schiere Kraft und Anstrengung zu überwinden, aber in diesem Prozess
übergehen wir unsere inneren, intrinsischen Muskeln, die die äusseren
Bewegungen initiieren und koordinieren. Dieses Ungleichgewicht zwischen
einer harten Schale und einem weichen Kern macht uns im Extremfall plump
und zu einem Muskelpaket.
Auf den emotionalen und mentalen Ebenen mögen wir glauben, dass, falls unser Leben äusserlich genügend aktiv ist, es innen auch aktiv
genug ist. Wenn wir unsundefined
der Überentwicklung des Äusseren bewusst werden, der harten, schützenden Schale, die wir aufgebaut haben, versuchen wir eventuell,
diese Abwehr aufzuweichen, indem wir uns schrittweise von aussen zum
Kern hin arbeiten. Eine der am meisten angewandten Strategien in tiefer
Körperarbeit ist die Arbeit von der Schale hin zum Kern. In dieser
Arbeit wird der Körper wie aus Zwiebelschichten bestehend angesehen, und
um die inneren Schichten zu erreichen und zu beeinflussen, muss man das
Äussere abschälen.
Wir können diese Annäherung an den Körper besser verstehen, wenn wir mal die Natur und Anordnung des Gewebes anschauen, das bearbeitet wird.
Die Körpermuskeln sind in Hüllen eingebetet, die aus geschmeidigem
Gewebe, genannt Faszien, bestehen. Dieses Gewebe organisiert und führt
unsere Muskeln, indem es ein System von Gewebeschichten bildet. Am
äusseren Körper haben wir eine große, übergreifend-verbindende Schicht,
die alles wie eine grosse Einkaufstüte zusammenhält. Sobald wir tiefer
gehen, finden wir einzelne Hüllen für jeden Muskel. Wenn wir starre
physische und emotionale Verhaltensmuster entwickeln, wird dieses
Fasziensystem weniger flexibel und schränkt unsere Bewegungen und die
gesamte körperlich-geistige Einstellung ein. Die Strategie in dieser
Arbeitsweise von aussen nach innen ist, diese Teile des faszialen
Systems, die hart und blockiert sind, aufzuweichen und zu
reorganisieren, und dieses wiederum, so glaubt man, gibt den Muskeln in
der Faszie Beweglichkeit und Gleichgewicht.
Ich habe herausgefunden, dass, wenn wir mit unserem Äusseren zu arbeiten beginnen, im Glauben, unser Inneres mehr beeinflussen und
freisetzen zu können, wir beobachten, wie unser Panzer subtil seine
Abwehr verändert. Die Spannung, die wir oberflächlich loslassen, bewegt
sich einfach zu einem tieferen, besser geschützten Bereich hin. Es ist
natürlich wichtig, die Geschwindigkeit zu respektieren, mit der eine
Person Veränderungen zulassen und integrieren kann, und oft wird der
PI-Therapeut seine Aufmerksamkeit auf die äusseren faszialen Schichten
richten und dann langsam tiefer gehen. Aber wenn wirkliche
Transformation stattfindet, verändert sich nicht nur das Äussere. Das
Innere macht gleichzeitig entsprechende Veränderungen durch.
Wenn ich mit den äusseren Gewebeschichte beginne, koordiniere ich diese Arbeit mit den Bewegungen der inneren Muskeln, z.B. mit leichtem
Schaukeln des Beckens oder kurzen, feinen Bewegungen der Wirbelsäule.
Auch wenn ich sowohl mit der äusseren Muskulatur als auch mit den
oberflächlicheren Gefühlen und Einstellungen arbeite, arbeite ich z.B.
gleichzeitig im Mund, der einige der tiefsten Strukturen, Gefühle und
Haltungen des Körpers festhält. Anstatt die Körper-Psyche wie eine
vielschichtige Zwiebel anzusehen, können wir sie mit Hilfe des
Therapeuten als eine vibrierende formbare Masse fühlen, an manchen
Stellen zäher als an andern, aber aus demselben Stoff zusammengesetzt,
der alles von aussen nach innen und von innen nach aussen durchfliesst.
Wenn wir in irgend einer Schicht oder Tiefe berührt werden, können wir
sofort antworten, indem wir uns in jeder anderen Dimension oder jedem
anderen Bereich umwandeln können.undefined
1.3. Laden und Entladen
Eine andere Art, an unserem gepanzerten, abwehrenden Selbst festzuhalten, ist, unsere Energie (unsere physische Stärke, unsere
Gefühle und Gedanken) entweder zurückzuhalten oder sie zu zerstreuen.
Einerseits spüren wir das Bedürfnis, unsere Energie zu erhöhen, ohne sie
genügend anzuwenden oder auszudrücken. Wir mögen vielleicht muskulös
sein, aber unfähig, im Fluss mit dieser potentiellen Kraft zu sein; wir
mögen rigid sein und uns weigern, den Zorn auszudrücken, den wir
angesammelt haben; oder wir mögen uns selbst mit vorsichtigen Meinungen
schützen. Andererseits tendieren wir oft dahin, uns auszulaugen, ohne
uns eine Chance zur Erholung zu geben. Wir können aus Erschöpfung
kollabieren oder wir können unsere Gefühle und Gedanken ohne jede
Kontrolle oder Gefühl für Grenzen ausdrücken. Nun können wir neue
Bewegungen ausprobieren, neue Gefühle und Verhaltensweisen erforschen,
bis auch sie uns zur Gewohnheit werden und durch spontanes Verhalten
modifiziert, aber nicht aufgegeben werden.
Wir können diesen Prozess mit dem Auf- und Entladen einer Batterie vergleichen. Wenn wir unsere Kraft, Gefühle und Haltungen aufbauen und
nähren, speichern wir Energie; wenn wir uns ausdrücken, lassen wir diese
gespeicherte Energie los. Dieser Aufbau von Energie, seine Entladung
und Wieder-Aufladung ist ein ständig sich wiederholender Kreislauf. Wenn
wir uns weigern, uns selbst aufzuladen, bleiben wir schwach und wollen
mehr Energie. Wenn wir uns weigern zu entladen, werden wir durch die
starke, zurückgehaltene Energie angespannt.
Indem man dem Kreislauf von Ladung und Entladung erlaubt, in allen Aktivitäten unserer Psyche und unseres Körpers zu fliessen, geben wir
unserem Leben eine natürliche Richtung. Dieser Kreislauf von Ladung und
Entladung beinhaltet das Alte und das Neue. Ich akzeptiere und gebrauche
meine vergangenen Gewohnheiten und Haltungen, aber ich bin frei,
spontan zu sein. Jede Bewegung, jede Emotion, jede Idee nimmt den
nötigen Raum und die Energie, sich selbst zu vervollständigen, blockiert
aber nicht die folgende Aktivität.
Z.B., wenn ich beginne, meinen Zorn zu fühlen, brauche ich Zeit, die Irritation wachsen zu lassen, Zeit, mich mit Energie aufzuladen. Und
wenn mein Zorn wächst, brauche ich Zeit, ihn vollständig auszudrücken
und ihn zu entladen. Wenn meine sich aufbauende Irritation oder der
Höhepunkt meines Zorns abgebrochen wird, bleibe ich frustriert zurück.
Oder ich drücke weiterhin meinen Zorn aus, bis er zur sinnlosen Wut wird
und ich mich selbst blockiere und erschöpfe.
Unsere Atmung ist der Schlüssel, eine einfache Balance zwischen der Ladung und Entladung unserer Energie aufrecht zu erhalten. Wenn wir
zuviel Luft aufnehmen, bauen wir unsere Energie auf, ohne das
Angesammelte vollständig loszulassen. Wenn wir andererseits lange und
ausgedehnt ausatmen, indem wir uns zusammenziehen oder die Ausatmung
herausstossen, überdehnen wir unsundefined
selbst. Eine Art, den Panzer mit Hilfe des Therapeuten loszulassen ist, die Aufmerksamkeit von diesem überbetonten Teil des Atemzyklus
abzuziehen und sich auf den vernachlässigten Teil zu fokussieren. Wenn
unsere Ausatmung zu stark ist, wenn zuviel Entladung da ist, ist es
wichtig, die Ausatmung zu verlangsamen und weich zu machen, während man
die tiefere Einatmung unterstützt, besonders in den vernachlässigten
Bereichen von Brust, Bauch oder Rücken. Umgekehrt, bei zuviel Einatmung
kannst du die Aufmerksamkeit vom tiefen Einatmen zu langem Ausatmen
verschieben, oftmals durch Übertreibung von Ton und Kraftaufwand. Und
sobald Ladung und Entladung unserer Energie sich auszugleichen beginnt,
ermutigt der Therapeut zum sogenannten spontanen Atmen -eine
vibrierende, unvorhersehbare Bewegung des gesamten Atemapparates und
vielleicht des gesamten Körpers. Es ist diese Art von strömender
Energie, die für das Finden und Aufrechterhalten von Gleichgewicht und
Flexibilität essentiell ist. Wenn der Therapeut ins Gewebe eindringt,
beginnen unsere Beine, Schenkel, Becken und Kopf zusammen mit
vibrierendem Atem in der Brust zu schwingen. Und die Energie, die wir in
jeder Ausatmung loslassen, kehrt mit der nächsten Einatmung zurück.
1.4. Akzeptieren und verstehen
Der PI-Therapeut ist verantwortlich dafür, zu spüren, wieviel Druck du im Moment vertragen kannst. Er muss an der Grenze zwischen
entspannender Massage und einem tieferen und manchmal leicht
schmerzhaften Eingriff in das Gewebe arbeiten. Wenn der Druck zu schwach
ist, passiert nichts Neues; ist er zu tief oder zu schnell, wird sich
dein Panzer nur verstärken. Du solltest mit deinem Panzer konfrontiert
werden, aber in einem Grad, der dir nach und nach erlaubt, das, was
passiert, anzunehmen und zu erforschen. Jedoch ist es an dir, für die
Arbeit des Therapeuten empfänglich zu sein, die Bereiche deines Selbst
zu erfahren, die vorher abgewehrt und unbewusst gemacht worden sind. Auf
diesem Weg kann dir der Therapeut helfen, wichtige Schritte zu
verstehen, die in diesem Prozess des Verstehens und der Erfahrung
gemacht werden müssen. Egal, ob der Panzer die Form eines harten
Widerstandes oder eines weichen Kissens annimmt, wurde er anfangs
entwickelt, um Schmerz und Unlust zu vermeiden, aber er wurde zu einer
Gewohnheit, durch die das Unbewusste den Schmerz festhält.
Diesen Panzer zu erfahren heisst für uns, uns von vergangenen Einstellungen und Haltungen zu befreien, aber dies ist keineswegs eine
Vermeidung oder Zerstörung unserer einzigartigen persönlichen
Geschichte. Unserem Panzer zu begegnen ist ein deutlicher Prozess, in
dem wir von der Vergangenheit befreit werden, und doch ist er
gleichzeitig ein Teil von uns. Um von unserem Panzer frei zu sein,
müssen wir nicht nur Verbindung mit ihm aufnehmen und seine Rolle in
unserem Leben erkennen, sondern wir müssen ihn auch als Teil von uns
annehmen. Oft machen wir uns so taub, dass wir uns unserer Widerstände
total unbewusst werden und ständig ein Umfeld kreiieren, indem wir nicht
mit Problemen konfrontiert werden. Alles wird vorsichtig, sicher und
ereignislos gemacht.undefined
Die erste Bedingung für Transformation ist, unsere Unvollständigkeit zu spüren und frustriert zu sein. Dann kommt ein Punkt, an dem du deinen
Widerstand zur Veränderung merkst. Ohne diesen ersten Schritt kann
keine Bindegewebsarbeit, tiefe Atmung, geführte Bewegung oder
spirituelle und mentale Affirmation dir eine merkliche und anhaltende
Befreiung deines Körper-Psyche-Panzers bringen. Der zweite Schritt in
dieser Erfahrung des Loslassens ist die Erkenntnis, dass Frustration,
dieses Gefühl von Unvollständigkeit, das Problem selbst ist.
Solange Papa, Mama oder die Gesellschaft als die Ursache unserer Probleme angesehen werden, werden wir stecken bleiben, auch wenn wir uns
unseres Problems bewusst sind. Gleichermassen, falls es dieser
“Rückenschmerz” ist oder dieser “schmerzende Fuss”, der uns
kontrolliert, haben wir noch nicht erkannt, wofür unser Panzer da ist,
nämlich, um uns gegen uns selbst zu schützen. Die Erleichterung, die wir
fühlen, wenn wir unseren Panzer los lassen, ist kein mysteriöses
Ereignis, in dem uns unsere Last durch eine äussere Kraft abgenommen
wird. Wenn der Therapeut meinen Körper berührt, muss ich bereit sein, zu
sagen:”Ich wehre mich oder ich habe Widerstand.” Mit dieser Erkenntnis
spüre ich vielleicht meinen Kampf mit mir selber oder ich bemerke
einfach meinen Widerstand.
Als ein letzter Schritt in diesem Prozess, den Panzer loszulassen, muss ich meine Unvollkommenheit, meinen Schmerz und meine Unlust als
einen wichtigen und willkommenen Teil von mir anerkennen. Dass ich für
meinen Schmerz selbst verantwortlich bin, akzeptiere ich auch als einen
vitalen und wertvollen Teil von mir. Hier besteht anscheinend ein
Widerspruch: indem Moment, indem ich meine unerwünschte Haltung wirklich
akzeptiere, werde ich frei davon. Zum Beispiel, wenn ich meine
Gehässigkeit gegenüber meinem Vater voll und ganz akzeptiere, wird der
Hass vollständig, ganz und machtvoll, und ich bin für andere Gefühle
bereit. Nun, wo ich meinen Vater hasse, kann ich ihn auch mehr lieben.
Der Schmerz, der aus der tiefen Bindegewebsarbeit heraus freigesetzt
wird, wird transformiert. Es ist nicht mehr länger reiner Schmerz,
sondern ein akzeptierter, angenommener Teil von mir, der nicht mehr
einfach Schmerz ist, sondern ein Loslassen einer alten Verletzung. Indem
ich meine Vergangenheit zu einem Teil von mir mache, befreie ich mich
von ihr.
Während des PI-Prozesses ermutigt der Therapeut uns, im Kontakt mit dem, was passiert, zu sein, uns selbst zu konfrontieren und jeden Teil
von uns anzunehmen. Dann verwandeln wir unsere alten, festgehaltenen
Schmerzen in neue Erfahrungen. Wir entwickeln ein Bewusstsein, mit dem
wir unseren Körper nicht als Objekt behandeln, das analysiert und
manipuliert werden muss.
In vielen der klassischen westlichen Modellen über Bewusstsein ist es an einem Ort lokalisiert, “hier”, während das Objekt “da” ist, und wir
versuchen unsere Aufmerksamkeit unter kontrollierten Bedingungen
auszudehnen, indem wir verschiedene Teile des Objekts oder Ereignisses
analysieren. Passend zu dieser Sichtweise, betrachte ich den Schmerz in
meinem unteren Rücken als ein zu studierendes Problem, als die Wirkung
von Ursachen, die ich hoffentlich verstehe und ausschliessen kann. Aber
diese Trennung des Schmerzes von mir ist dasundefined
Problem. Wie schon gesagt, solange ich meinen Schmerz als etwas mir Fremdes betrachte, panzere ich mich gegen die Möglichkeit, ihn
aufrichtig zu erforschen und mich davon befreien zu können.
Die Betrachtungsweise des Bewusstseins sowohl im Zen als auch in der Gestaltarbeit verdeutlicht, dass die Erfahrung des Loslassens ein
Prozess ist, indem wir erst uns fremde Teile unserer Selbst annehmen.
Wenn ich mit einem Teil von mir total in Verbindung bin, ihn erkenne und
annehme, dann bin ich mir dieses getrennten Objekts nicht mehr bewusst,
sondern ich werde dieses Objekt. Im Zen verschmelze ich total mit
diesem Objekt, ich bin der Beobachter und das Beobachtete. In der
Gestalttherapie beleuchte ich den teilweise unbewussten Hintergrund
meiner Erfahrung, indem ich den unbewussten Teil von mir sprechen lasse.
Wenn der Therapeut auf den gut entwickelten Panzer meines unteren Rückens trifft, ich den Kontakt fühle und meine Abwehr zu dem erkenne,
was tief in mir ist, dann nehme ich meinen unteren Rücken an, indem ich
ganz in ihm bin, von dort zu mir selbst spreche. “Jack, ich bin
verletzt, ich habe dich dazu gebracht, dein alltägliches Tempo zu
verlangsamen und mir die Aufmerksamkeit zu geben, die ich brauche.”
Sogar wenn dieser Dialog nicht weiter geht, habe ich bereits begonnen,
die unbewusste Abwehr, die ich in meinem Rücken gespeichert habe,
aufzuweichen. Dieser Dialog kann weiter gehen. Ich kann nicht nur in
meinen gepanzerten Bereichen loslassen, sondern auch durch den nun
befreiten Teil mit anderen Aspekten meines Selbst kommunizieren, die
zusammenarbeiten müssen, die neue Bewegungen, Gefühle und Gedanken
ausprobieren müssen.
Diese Methode, uns selbst zu akzeptieren und zu verstehen, können wir auch auf einer mehr technischen Ebene ansehen. Wir betrachten den
Schmerz, der während des Loslassens alter Haltungen und Einstellungen
entsteht, wie ein besonderes transformierendes Ereignis im Nervensystem.
Gemäss einer der am meisten akzeptierten Erklärungen der Natur des
Schmerzes “Specificityheorie”, löst ein äusserer Stimulus an den
Nervenenden im Muskelgewebe eine allgemeine Reaktion aus, die als
Schmerz erfahren wird, aber dies gilt nicht für die direkte Einwirkung
auf lokales Gewebe (und sein Muskelgedächtnis der Schmerzerfahrung). Was
als Schmerz erfahren wird, hängt nicht nur von der Reaktion im
Hirnstamm ab (und umgekehrt auf untergeordnete generalisierte Reaktionen
im gesamten System), sondern auch davon, wie das lokale Gewebe den
Stimulus im System aufnimmt. Die “Specificity Theory” (diese Theorie,
wird noch heute von vielen Schulmedizinern vertreten) passt aber
hinsichtlich der Reaktion auf den Stimulus nicht auf die Rolle, die der
Panzer und das Loslassen des Panzers spielt. Eine moderner Art, Schmerz
anzusehen, ist die “Gate Control Theory”, die besagt, dass das
Nervensystem als eine Einheit mit Wechselwirkung anzusehen, in der
Veränderungen in irgendeinem Teil Wirkungen auf jeden andern Teil haben.
Demnach ist die gesamte nervöse Aktivität ist nicht nur durch den Gehirnstamm kontrolliert, sondern tiefere Zentren spielen auch eine
kritische Rolle. Dementsprechend sagte ich vorhin, das Nervensystem
bestehe aus einemundefined
komplizierten Netz von “Toren” (gates), die sich öffnen und schliessen, sobald Stimuli lokale Rezeptoren durchlaufen. Was ich lokal
fühle, hängt nicht nur allein von der Reaktion im Gehirn ab, sondern
zusätzlich davon, wie das lokale Gewebe diese Tore kontrolliert. Es ist,
als ob die Art und Weise, wie die Tore sich schliessen oder öffnen
können in einem bestimmten Teil der Körper-Psyche durch frühere
schmerzvolle Erfahrungen durch einen schützenden Panzer im Gewebe und um
die Muskeln herum vorprogrammiert würden (Schiene). Wenn der Panzer als
permanent und unveränderbar angesehen würde, könnte die “Specificity
Theory” des einfachen Stimulus und der Reaktion darauf für viele unserer
erstarrten Verhaltensweisen gültig sein, weil die Tore in ihren
gewohnten Positionen bleiben würden und ihr Einfluss immer derselbe
wäre.
Jedoch, während des Prozesses des Loslassens unseres Panzers durch tiefe Körperarbeit, sieht es so aus, als ob wir einige der Tore, die
durch frühere Erfahrungen programmiert und fixiert wurden, wieder
“eröffnen” könnten. Nach dieser Sichtweise wird das Gewebe neu
stimuliert, wenn der Therapeut die Körperabwehr überwindet, und der
Klient die Erinnerungen, die Ereignisse, die in den Muskeln festgehalten
wurden, wieder erfahren kann. Es sieht so aus, dass, wenn wir zu einem
vollen Wiedererleben unserer alten Schmerzen bereit sind, wir einen
Prozess wirklicher dauerhafter Lösung sogar unserer ältesten und
widerstandsfähigsten Panzerungen beginnen. Danach sind die Tore nicht
länger durch unseren Panzer besetzt, sondern frei für neue Arten
integrierender Erfahrungen
PI ist ein sorgfältiger, systematischer Prozess, durch den wir die Einheit unseres inneren und äusseren Selbstes entdecken können, eine
Balance von Energieladung und -entladung finden können und unsere
vergangenen und gegenwärtigen Erfahrungen annehmen. Es kann als ein
10-Schritte-Prozess (10 Basiseinheiten) verstanden werden, in dem jeder
Teil der Körper-Psyche von seinem Panzer befreit und möglicherweise in
die Gesamtstruktur integriert wird. Während der ersten 7 Schritte werden
die Beine, das Becken, der Rumpf, die Arme und der Kopf jeweils
sorgfältig und tief befreit und dann in den letzten 3 Schritten
vorsichtig in eine harmonische Beziehung zueinander gebracht.
Sobald unser grundlegender abwehrender Panzer gelöst ist, entsteht ein bemerkenswertes Phänomen: das Körpergewebe wird spürbar weicher,
fester, elastischer und geschmeidiger. Dies kann von der Oberfläche
durch die Schichten der extrinsischen Muskulatur hindurch gefühlt
werden, und sogar das tiefe Gewebe, das die intrinsischen Muskeln
umhüllt, ist besser erreichbar und reaktionsfähiger. Mit dieser
Befreiung beginnt der Körper neue Proportionen zu bilden. Breite Hüften
werden schmaler, eine schmale Brust weitet sich, der Rumpf streckt sich,
das Gesicht entspannt sich, das Gesäss füllt und rundet sich. In
manchen Fällen können Menschen ein paar Zentimeter grösser werden und an
Brustumfang deutlich zunehmen. Gleichzeitig sind Gefühle und Gedanken
flexibler geworden. Man weint, schreit, lacht, singt und stöhnt oder
seufzt leichter, und Gedanken überschreiten ihre alten Grenzen. Während
der letzten Phase des Prozesses, der Integration, hilft der Therapeut
uns, unseren Atem zu stabilisieren, Energie zu verteilen, uns zu
harmonisieren und uns unsererundefined
Körperbewegungen bewusster zu werden und unsere Emotionen und Gedanken in eine andere Richtung zu lenken. Die Befreiung und
Integration des Selbst durch PI ist eine kraftvolle, neu ausrichtende
Erfahrung. D.h. nicht, dass wir keine Schwierigkeiten mehr haben oder
Spannungen fühlen. Wir haben weiterhin das Bedürfnis, Ängste und
Frustrationen auszudrücken, aber wir können sie nun schneller erkennen,
konfrontieren und sie loslassen.
Copyright: Jack Painter 1985 Center for Release and Integration